Eine Agentur muss die Touchpoints im Rahmen der Customer Journey ganzheitlicher betrachten, so eine häufige und richtige Forderung von Werbungtreibenden. Gleichzeitig wünschen wir Agenturen uns einen zentralen Ansprechpartner auf Seite der Kunden, der den Überblick über alle Kanäle und Maßnahmen, ob Marketing oder Vertrieb, ob Branding oder Performance, behält. Die Lösung scheint ein zentrales Touchpointmanagement zu sein, um die komplexe Customer Journey in den Griff zu bekommen. Das kann jedoch nur ein erster Schritt sein; ausreichend ist es langfristig nicht.

Der Begriff Touchpoint ist eine trügerische Vereinfachung

Das Problem mit dem Begriff Touchpoint liegt in seiner passiven Konnotation. Er suggeriert, dass bereits der reine Kontakt einen Effekt beim Kunden bewirkt, dass eine Kombination aus Frequenz und Reichweite allein schon ein Indikator für die Wirkung ist und dass Kontakte über Kanäle und Formate austauschbar wären.

Aus der Praxis wissen wir, dass dies nicht immer der Fall ist. Im TV kann aufgrund des hohen Impacts des Kontakts die Wirkung durchaus auf Reichweite und Frequenz (GRP) zurückgeführt und die emotionale Wirkung durch den Kontakt als Leistungs-Uplift angesehen werden. Im digitalen Bereich sieht dies jedoch anders aus.

Die digitalen Werbeformate unterscheiden sich in Größe, Platzierung und Dynamik sehr deutlich. Um Budgets nicht ausufern zu lassen und die Aufmerksamkeit der User zu gewinnen, kommt der individuellen Kreation noch mehr Bedeutung zu. Sie entscheidet nicht nur über den Leistungs-Uplift, sondern häufig über Erfolg oder Misserfolg der gesamten Kampagne. Es gilt also insbesondere für das digitale Marketing, aber nicht ausschließlich, den Begriff des Kontakts durch eine stärkere Währung zu ersetzen.

Es gilt, Momente zwischen Marke und Kunden zu schaffen

Anstatt einen Kontakt mit dem Konsumenten herzustellen, muss das Ziel sein, einen Moment zwischen Marke und Konsumenten zu schaffen. „Moment“ bedeutet in diesem Fall, für den Augenblick ein gemeinsames Erlebnis zu kreieren. Dies kann ein gemeinsames Gefühl des Verstandenwerdens, der Geborgenheit, des Verbundenseins (durch den Kontext) oder auch das Teilen einer Auffassung sein. Kaufentscheidungen und Loyalität werden durch eine Reihe von positiven Momenten mit einer Marke oder einem Produkt ausgelöst.

In der Kommunikation geht es darum, einen Kontakt zu schaffen, der ein Gefühl auslöst. Ein Gefühl, das im Kopf bleibt oder das so stark ist, dass eine sofortige Interaktion folgt. Es ist nicht zwingend der Moment im zeitlichen Sinne gemeint, wie ihn in der Leitlinie für das programmatische Marketing definiert: „Zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, für die richtige Person“. Zeitpunkt, Aufenthaltsort und die äußeren Bedingungen sowie der persönliche Bezugsrahmen der Zielgruppe spielt beim Finden des richtigen Hebels für die Gestaltung des geforderten Moments zwar eine wichtige Rolle. Doch dann gilt es, darauf aufbauend die richtige Botschaft zu kreieren, eine Botschaft, die für den Kunden in diesem Setting echte Relevanz hat.

Augenblicke, in denen wir denken, ohne zu denken: Momente in der digitalen Welt

Um den Weg vom reinen Managen von Kontakten hin zum Managen von Momenten zwischen Konsument und Marke zu gestalten, muss man verstehen, was die wenigen Sekunden prägt, in denen unser Gehirn Eindrücke verarbeitet und sich eine Meinung bildet. In seinem Buch: „Blink! Die Macht des Moments“ beschreibt der kanadische Journalist Malcolm Gladwell sehr passend, was die genannten Momente ausmacht und welche Mechanismen der intuitiven Meinungsbildung zugrunde liegen.

Frei nach der Annahme „der erste Eindruck entscheidet“ stellt Gladwell die These auf, dass man häufig bereits nach zwei Sekunden zu verlässlichen Urteilen kommt. Zweifel an diesem intuitiv richtigen Urteil treten erst in der Analysephase auf. Beliebtes Mittel, diese Zweifel auszuräumen, ist die Verstärkung der Botschaft nach dem ersten Eindruck. Doch es geht nicht darum, den Konsumenten mit Verstärkungen zu überrumpeln, sondern mit der Botschaft beim Kunden einen mit seinen Wahrnehmungen übereinstimmenden Eindruck zu erwecken.

Die Übersetzung des Moments in Marketing und Media

Dabei ist es entscheidend, die richtigen Schritte einzuhalten. Zunächst gilt es, Zielgruppensegmente mit ähnlichen Ansprüchen an einen Moment zu bilden statt soziodemografischer Klassen. Darüber hinaus kommt es darauf an, die zu Momenten und Marke passenden Botschaften, Bilder und Kontexte zu kreieren sowie die richtigen Kanäle zum Transport der Momente auszuwählen. In den meisten Digitalkanälen lässt sich keine komplexe Story mit Spannungsmomenten wie in einem 30-Sekünder erzählen. Und nicht jeder „unskipable“ Video-Kontakt stößt auf Gegenliebe beim User. Ein gelungener Moment hängt eben auch von der Offenheit des Konsumenten für eine Botschaft ab. Viele gut angelegte Kampagnen können nicht ihre ganze Wirkkraft entfalten, weil sie einzelne Schritte vernachlässigen.

Positiv inszenierte Momente an den richtigen Punkten der Customer Journey können also durchaus mehr Wirkung entfalten als hohe Kontaktzahlen und lange Formate. Erst mit der ebenso intelligenten wie kreativen Nutzung von Insights und Daten ist hierfür die Grundlage geschaffen.